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Vortrag Kant-Gesellschaft Minden: Pressetext lang

Am 3.6.2020 habe ich vor der Kant-Gesellschaft Minden, via Zoom-Konferenz, einen Vortrag zu Digitalität und der Schule der Zukunft, eingebettet in eine Kultur der Digitalität, gehalten. Hier folgt der Langtext für die heimische Presse. (Ich bin Mitglied der hiesigen Kant-Gesellschaft).

Bild von Prashant Sharma auf Pixabay 

Die Zukunft der Schule ist digital

 

Der Mindener Kant-Gesellschaft erging es in den letzten Monaten wie den meisten Veranstaltern des kulturellen Lebens: Die geplanten Veranstaltungen mussten abgesagt werden. In dieser Situation entschied man sich, einen neuen Weg auszuprobieren. Aus den „eigenen Reihen“ heraus bot am 3.6.20 Michael Schöngarth einen Vortrag per Zoom-Videokonferenz an. Auch das Thema des Vortrages schien die Vorgehensweise zu rechtfertigen: Herr Schöngarth wollte zu „Bildung in der digitalisierten Welt. Vom Leben, Lernen und Lehren in der Infosphäre und warum sich (fast) alles verändert“ sprechen.

So begrüßte pünktlich um 19:30 Uhr der Vorsitzende Christoph Gralla die etwa ein Dutzend Interessierten nicht in der bekannten Mediothek des Herdergymnasiums, sondern vom heimischen Wohnzimmer aus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich im Vorfeld aktiv einen Einladungslink angefordert. Die Teilnahme war dann ohne weitere Anmeldung in einer „Ende-zu-Ende“ verschlüsselten Videokonferenz möglich. Für technische Fragen war die Veranstaltung ab 19 Uhr geöffnet.

 

Der Vortragende skizzierte sodann sein Vorhaben: Unter Bezugnahme auf wesentliche Literatur der letzten Jahre zur Digitalisierung/Digitalität im kulturellen Kontext (Stalder: Kultur der Digitalität, Floridi: Die 4. Revolution und Nassehi: Muster) wurde dafür geworben, eine Aufklärung 2.0 zu wagen. Mit Bezug auf den historischen Kant-Text entwarf Schöngarth eine noch relativ „unverstandene digitale Revolution“, die Gesellschaft und Bildung vor enorme Herausforderungen stellt. In selbstverschuldeter Unmündigkeit verharrten jene, denen es an Mut mangelt, sich der radikal gewandelten Wirklichkeit zu stellen, lautete seine These.

 

Die Biosphäre müsse heute mit dem italienischen Philosophen Luciano Floridi als technisches Artefakt, als von Menschen angepasste „Info-Sphäre“ verstanden werden, an die wir alle mehr oder weniger informationell angeschlossen sind. Während die einen noch von „Online-Sucht“ sprechen würden, rekonstruierte Schöngarth mit Floridi eine Welt, in der die aktuelle Schüler-Generation (unter Abzug von Schlaf und Schule, wie die Postbank-Studie 2019 feststellte) praktisch durchgehend online sind (9,3 Stunden pro Tag). Das Leben habe sich daher in ein Onlife verwandelt, ein Kunstwort, das Floridi zu Beginn der 10-er Jahre eingeführt hat. Dies und die Konsequenzen daraus zu verstehen, wollte der Vortragende als Aufklärung 2.0 verstanden wissen.

 

Vor dem Hintergrund dieser Realität müsse Bildung und Schule nicht mit Medienverboten reagieren, sondern entlang des in NRW vorbildhaft entwickelten Medienkompetenzrahmens Medienkompetenz zusammen mit den Hosentaschencomputern der Schüler und Schülerinnen in den Mittelpunkt von Unterricht rücken. Dort könnte eine gelingende Praxis mit Geräten und Anwendungen eingeübt werden. Das Smartphone (Tablet) sei als Welt- oder Kulturzugangsgerät (Lisa Rosa) zu definieren. Die Herausforderungen für Bildung und Lernen seien vielfältig: Schöngarth riet davon ab, unnötige Energie in die verschiedensten Auseinandersetzungen zu stecken: So werde das Schreiben mit der Hand in den nächsten fünf Jahren wie selbstverständlich sich vom Papier lösen und auf elektronische Geräte übergehen. Dass in diesen Ausstattungsprozessen Konzerne Profite anstrebten, sollte zunächst genau so realistisch und nüchtern betrachtet werden, wie die dazu gehörige Marktwirtschaft.

 

Da die Datenpräsenz des Einzelnen in sozialen Netzen die maßgebende Epochengestalt der digitalen Gegenwart sei (und Anonymität nur noch eine Idee derjenigen, die in den 1990ern erstmals mit dem Internet in Berührung kamen), müsse diese Realität ebenfalls im Unterricht Einzug halten. Lehrerinnen und Lehrer würden zunehmend zu Nutzern und Produzenten von – auch ästhetisch ansehnlichen – Medienprodukten; vorgeschlagen wurde daher der Kunstbegriff Co-Produsing für den Prozess, in dem alle gemeinsam entlang von Medienprodukten rezipieren, produzieren und reflektieren.

 

Lernen sei zukünftig von schwacher künstlicher Intelligenz gestützt, so z.B. durch die eingebaute Rechtschreibprüfung in vielen Programmen. Doch die Entwicklung gehe rasant weiter. Auch für Mathematik und die modernen Fremdsprachen sei eine Entwicklung im Gang, in der Lernen aktiv unterstützt werde, so dass grundsätzlich über neue Aufgabenformate nachgedacht werden müsse: Wie sehen Prüfungen aus, in denen Schüler und Schülerinnen im Team unter Heranziehung des Weltwissens („mit dem offenen Internet“) kreative Lösungen suchen, fragte Schöngarth.

 

Den Abschluss des Vortrages bildete der Versuch, zwischen gelingender Digitalisierung und misslingender zu unterscheiden. Mit dem Züricher Deutsch- und Mediendidaktiker Wampfler entwarf Schöngarth das Bild einer gelingenden Kultur der Digitalität, in der das Technische aufgrund der Selbstverständlichkeit sehr schnell wieder in den Hintergrund trete, so dass echte kulturelle Bildung und persönliche Bildung möglich seien. Sollte sich allerdings herausstellen, dass ein Großteil der relevanten Akteure nicht für den raschen Wandel gewonnen werden könne, dann wäre auch eine eher dystopische Zukunft möglich, in der – auch vor der Tatsache von Lehrermangel – die Tendenz Richtung personalisierter Bildung gehe, die die Schüler an adaptiven Test-Computern sehe, in der sich dann letztlich das Programm des Behaviorismus verwirklichen würde.   

 

In der anschließenden Diskussion wurde versucht, die Bedingungen des „Übergangs“ herauszuschälen. Gewarnt wurde vor zu euphorischer Betrachtung des digitalen Wandels, betont wurde auch (mit Piaget), dass das konkrete Lernen dem formalen vorangehen müsse. Dabei wurde an diesem Abend noch einmal deutlich, dass Schöngarth seine Agenda mit der Betonung auf das Versäumte rechtfertigte: die notwendige, rasche nachholende Digitalisierung von Schule könnte als Chance verstanden werden, diese in eine Kultur der Digitalität einzubetten.

 

 

 

English version via deepL:

 

The Mindener Kant society had the same fate as most organizers of cultural life in the last months: The planned events had to be cancelled. In this situation they decided to try a new way. From the "own rows" Michael Schöngarth offered a lecture by zoom video conference on 3.6.20. The topic of the lecture also seemed to justify the approach: Mr Schöngarth wanted to talk about "Education in the digitalised world. About living, learning and teaching in the infosphere and why (almost) everything changes".

 

Thus, punctually at 7:30 p.m., the chairman Christoph Gralla welcomed about a dozen interested people not in the well-known media library of the Herdergymnasium, but from their living rooms at home. The participants had actively requested an invitation link in advance. Participation was then possible without further registration in an "end-to-end" encrypted video conference. For technical questions, the event was open from 7 pm.

 

 

 

The speaker then outlined his intention: With reference to essential literature of recent years on digitisation/digitality in a cultural context (Stalder: Culture of Digitality, Floridi: The 4th Revolution and Nassehi: Patterns) it was advertised to dare an Enlightenment 2.0. With reference to the historical Kant-text, Schöngarth sketched out a still relatively "misunderstood digital revolution", which poses enormous challenges to society and education. His thesis was that those who lacked the courage to face the radically changed reality remained in self-inflicted immaturity.

 

 

 

According to the Italian philosopher Luciano Floridi, the biosphere must today be understood as a technical artefact, as an "information sphere" adapted by humans, to which we are all more or less connected in terms of information. While some would still speak of "online addiction", Schöngarth reconstructed with Floridi a world in which the current generation of schoolchildren (minus sleep and school, as the Postbank study 2019 found) are practically online all the time (9.3 hours per day). Life has therefore turned into an onlife, an artificial word that Floridi introduced at the beginning of the 10's. To understand this and the consequences of it, the speaker wanted to be understood as Enlightenment 2.0.

 

 

 

Against the background of this reality, education and schools must not react with media bans, but rather, along the lines of the media competence framework developed in NRW in an exemplary manner, place media competence together with the pupils' pocket computers at the centre of lessons. Successful practice with devices and applications could be practised there. The smartphone (tablet) could be defined as a device for accessing the world or culture (Lisa Rosa). The challenges for education and learning are manifold: Schöngarth advised against putting unnecessary energy into the most diverse debates: For example, writing by hand will naturally move away from paper to electronic devices over the next five years. The fact that corporations are striving for profits in these equipment processes should initially be viewed just as realistically and soberly as the associated market economy.

 

 

 

Since the data presence of the individual in social networks is the decisive epochal form of the digital present (and anonymity is only an idea of those who first came into contact with the Internet in the 1990s), this reality must also find its way into teaching. Teachers are increasingly becoming users and producers of media products - also aesthetically pleasing ones; the art term co-produsing was therefore proposed for the process in which everyone collectively receives, produces and reflects along media products.

 

 

 

In the future, learning will be supported by weak artificial intelligence, e.g. by the built-in spell checker in many programs. But the development is continuing rapidly. A development is also underway for mathematics and modern foreign languages in which learning is actively supported, so that new task formats must be considered: Schöngarth asked what examinations look like in which pupils work in teams to find creative solutions using world knowledge ("with the open Internet").

 

 

 

 

The presentation concluded with an attempt to distinguish between successful digitisation and unsuccessful digitisation. Together with the German and media didactician Wampfler from Zurich, Schöngarth sketched the picture of a successful culture of digitality, in which the technical aspect would very quickly recede into the background again due to the matter-of-factness, so that real cultural education and personal training would be possible. If, however, it should turn out that a large part of the relevant actors could not be won over to the rapid change, then a rather dystopian future would also be possible, in which - even before the fact of a shortage of teachers - the tendency would go in the direction of personalized education, which would see students using adaptive test computers, in which the program of behaviorism would ultimately be realized.   

 

In the discussion that followed, an attempt was made to identify the conditions of "transition". A warning was issued against overly euphoric views of digital change, and it was also emphasized (with Piaget) that concrete learning must precede formal learning. It became clear once again this evening that Schöngarth justified his agenda by emphasising the missed opportunity: the necessary, rapid catch-up digitalisation of schools could be seen as an opportunity to embed them in a culture of digitality.

 

 

*** Translated with www.DeepL.com/Translator (free version) ***