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Vierzehn Orientierungs-Memes für ein Leben onlife

Kennen Sie das? Ein Satz, ein Bild, ein Meme taucht immer wieder in Ihrer Timeline auf. Bestimmt kennen Sie das. In der ersten Juniwoche 2019 wurde das Poster der "10 Gebote der digitalen Ethik", wohl schon 2016 herausgegeben, durch die Twitter-Timeline gespült. Es stammt vom "Institut für digitale Ethik" (Hochschule der Medien, Stuttgart, unterstützt von der Telekom-Stiftung, vermutlich in Zusammenarbeit mit oder für klicksafe.de und Juuuport). Sie können es als Postkarte oder DinA2-Poster herunterladen. Es existiert auch eine Langversion, in der anhand von Fallbeispielen die Gebote veranschaulicht werden. Das Material liegt außerdem in sechs weiteren Sprachen vor. Alles in allem ein gutgemeinter Ansatz. Hält er Kritik stand?

 

In der letzten Woche sind ein paar Dinge zusammengekommen: Kollegiale Gespräche, die die Anforderungen an eine digitale Didaktik thematisierten, meine intensive Arbeit an einem Biparcours und schließlich ein reger Austausch über die virtuellen Schmerzen einer Gesellschaft beim Übergang vom Gutenberg- zum Turing Paradigma (vgl. dazu u.a. Krommer 2019). Ein herausragendes Element war für mich die Publikation von Philippe Wampfler "Medienkompetenz in der digitalen Transformation". In diesem Text passieren viele wunderbare Dinge: Medienkompetenz wird endlich begrifflich geschieden, in "Kontrollierende Medienkompetenz des Buchdruckzeitalters" und in "Experimentelle Medienkompetenz im Informationszeitalter". Wampfler kann im Anschluss in herausragender Klarheit das Kommunikationsversagen der CDU im Fall @rezomusik erklären. Kurz: Da der experimentell ausgerichtete @rezo, der mehrere Plattformen mit Content beliefert, in der Remix-Kultur des Informationszeitalters lebt, in dem er Content wie selbstverständlich produziert, bleibt Kommunikation mit einer CDU, die mit Methoden des Buchdruckzeitalters (ein pdf) und der Vorstellung von legitimen Gatekeepern und illegitimen "Youtubern" arbeitet, unmöglich. In dieser Gemengelage will Wampfler die Frage beantworten, inwiefern jungen Menschen, in einer genuin digitalen Form Medienkompetenz erwerben können. 

 


 

Kontrollierende Medienkompetenz in der Buchdruckgesellschaft Experimentelle Medienkompetenz in der Informationsgesellschaft
Ausgangspunkt: Gatekeeper publizieren, sie besitzen das Privileg veröffentlichen zu können. Ausgangspunkt: 'Content' steht im Netz zur Verfügung. Menschen und Maschinen generieren und kuratieren ihn. 
Medienkompetent ist, wer ...  Medienkompetenz ist, wer ...
"den Prozess der Publikation versteht",  filtert, eigene Darstellungsformen wählt, Content gegenüber Leser*innen sichtbar macht,
"wichtige Akteure kennt",  Produser ist ("Leser*innen produzieren, sobald sie Medien rezipieren wollen",
"die externe und interne Logik von Publikationen durchschaut",   
"Informationen mit denen in Referenzwerken abgleicht",   
"Medienkompetenz ist primär skeptische Rezeption". "Medienkompetenz besteht darin, die Wirkung medialer Handlungen einschätzen zu können, Kontexte ein- oder ausblenden zu können und Programme selbstbestimmt zu nutzen. An die Stelle von Ordnung sind Suchverfahren getreten. An die Stelle von Referenzwerken Statistik". 

 Alle Merkmale nach Wampfler (2019) Medienkompetenz, ich habe lediglich den Begriff des "Produsers" eingefügt.


Verantwortlich zeichnet "digitale-ethik.de"

 

Mit diesem Ansatz und Verständnis von Wampfler will ich nun versuchen, die in der letzten Wochen auf Twitter herumgereichten "10 Gebote der digitalen Ethik", zu verstehen. Die wesentliche These dazu ist bereits auf Twitter geäußert worden: Die Thesen wirken irgendwie mit ihrem Ursprung in der Buchdruckgesellschaft hilflos: auf den ersten Blick "irgendwie richtige" und vielleicht doch falsch. Hier ein paar relevante Eindrücke der auf Twitter geführten Diskussion:

 

 

Der vorliegende Ansatz vom Institut für digitale Ethik folgt im wesentlichen einem Narrativ, das stets das Gute will: "Ein solches neues Narrativ könnte sich in einem digitalen Prometheus-Narrativ versinnbildlichen, das den technologischen Fortschritt im Dienste einer wertebasierten Gesellschaft und auf der Grundlage digitaler Grundrechte versteht" (Grimm). Wer würde wohl dazu eine Gegenposition einnehmen? Eben! Und in der Folge entspringen die digitalen Grundrechte einer Erwachsenenwelt (A. Krommer via Twitter, siehe oben), die eigentlich dem Gatekeeper-Paradigma des Buchdruckzeitalter verhaftet ist, in dem wesentliche Kontrollfunktionen von klar zu benennenden Akteuren ausgeübt wurde. Die Kontrollfunktionen gehen im Turing-Paradigma nun auf a) nicht mehr identifizierbare Individuen, b) vernetzte Systeme und c) auf Algorithmen über. Der mit allem Recht behauptete Grundsatz Digitale Grundrechte zu stärken und Widerstand gegen Datenmachtsysteme zu leisten, läuft mit den alten Forderungen an Datensparsamkeit ins Leere: Herr oder Frau Datensparsamkeit wird in der Infosphäre nicht wahrgenommen.

 

 

Diesem Ansatz setze ich nun ein Verfahren gegenüber, das versucht, insbesondere die Frage nach der Alternative nachzugehen, so wie sie Phillippe Wampfer formuliert hat: "Was hilft jungen Menschen, in einer genuin digitalen Form Medienkompetenz zu erwerben?" Seine fünf Punkte sollen nun in meinen vierzehn inhaltlichen Antworten aufgehen. Ich nenne diese Inhalte Memes und liefere weiter unten die entsprechenden Bild-Text-Collagen. Mir ist der präskriptive (vor-schreibende) Charakter der Memes bewusst. Er gefällt mir nicht an jeder Stelle. Mir ist klar, dass das Konzept nicht abschließend entwickelt ist. Es wird vielmehr ständig der Veränderung ausgesetzt sein: a) der unmittelbaren Kritik, b) des "aus-der-Zeit-fallens durch die individuelle und gesellschaftliche Praxis in der Kultur der Digitalität, c) durch Veränderungen in der Technik, d) durch die Veränderung des Rechts und der Gesetze. Wichtig war mir, die digitale Gegenwart als durch und durch mediatisierte Lebenswelt zu verstehen, in der der Gegensatz von analog zu digital längst nicht mehr trägt. Wenn wir eine neue Vorstellung oder einen neuen Begriff benötigen, der die alten Dualismen überwindet und der tatsächlich geeignet ist, das zu beschreiben, das die Jungend von heute erlebt, dann schlage ich vor, den Begriff onlife von Floridi zunehmen. 


10 Gebote der digitalen Ethik - vs. 14 Memes für das Leben onlife (Floridi)

 

1. Erzähle und zeige möglichst wenig von dir. 1. "Hau raus, was du kannst!", du bist der Produser. Es ist notwendigerweise nur anschließend möglich, über die gemachten Erfahrungen der Wirkung zu reflektieren. Teste unterschiedliche Verfahren. (vgl. @phampfler)
2. Akzeptiere nicht, dass du beobachtest wirst und deine Daten gesammelt werden. 2a. Setze Anonymisierungs-, Verschlüsselung- und Blockingsoftware je nach Notwendigkeit ein.
  2b. Versuche selbst Teil der Kontrolle von Staat und Konzernen zu sein (Informiere dich über den Big-Brother-Award, engagiere dich). Bestehe auf dein informationelles Selbstbestimmungsrecht.
3. Glaube nicht alles, was du online siehst und informiere dich aus verschiedenen Quellen. 3. Setze algorithmische Verfahren, Rückwärtssuche u.a. ein, um über Kontext und Referentialität an der regulativen Idee von Wahrheit festzuhalten.
4. Lasse nicht zu, dass jemand verletzt und gemobbt wird.

4. Beziehe Stellung gegen Mobbing (hier stellvertretend für alle Formen illegitimer Kommunikationspraxen wie Doxxing, Sexting, Stalking, Upskirting u.a.m.). Aktiviere dein persönliches Netzwerk gegen alle Formen menschenverachtender Kommunikation.

5. Respektiere die Würde anderer Menschen und bedenke, dass auch im Web Regeln gelten. 5. Orientiere dich an der Würde des Menschen. Setze sie als Ziel und Zweck deiner Kommunikation. Vermeide selbstverschuldete Unmündigkeit. Sei jederzeit mutig, dich selbst aufzuklären. 
6. Vertraue nicht jedem, mit dem du online Kontakt hast.

6. Nutze dein persönliches Netzwerk und orientiere dein Handeln an dem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit (vgl. @stalfel).

7. Schütze dich und andere vor drastischen Inhalten. 7. Produziere selbst krasse Inhalte an den Grenzen der Kultur der Digitalität und teste experimentell die Reaktionen des Netzwerks. Führe anschließend einen intensiven Diskurs in deinem Netzwerk über die Wirkungen und die Feedback-Schleifen.
8. Miss deinen Wert nicht an Likes und Posts. 8. Mache selbst Erfahrungen mit intensiven Posts, Likes, Retweets und Netz-Storys und reflektiere anschließend über die Wirkung auf dich und dein Netzwerk und ggf. auf die Öffentlichkeit insgesamt.
9. Bewerte dich und deinen Körper nicht anhand von Zahlen und Statistiken. 9. Reflektiere auf die Algorithmizität (vgl. @stafel} deines Lebens, beachte insbesondere a) deine Motivation zur Selbstvermessung und Selbstoptimierung und b) die Motivation der Anderen (Konzerne, Netze, Staat, Individuen, Algorithmen) dir mit machinelearning-tools immer mehr und genauere auf dich zugeschnittene Angebote zu machen.
10. Schalte hin und wieder ab und gönne dir auch mal eine Auszeit. 10. Setze dich dafür ein, dass alle einen gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen und zur Infosphäre (Online-Speicher, Online-Games, Online-Communities u.a.m.) haben. Widersetze dich Netz-Sperren, Upload-Filtern u.ä.
  11. Setze immer komplexere Tools ein, mit denen du als Produser Prozesse automatisieren kannst. (vgl. @phwampfler)
 

12. Lerne am Bekannten und Lokalen. Verstehe so die Filterblasen und Echokammern-Effekte und deren Verzerrungen. (vgl. @phwampfler)

  13. Orientiere deine politischen Hoffnung auf eine Gesellschaft der Gemeinschaftlichkeit, des Commons (vgl. @stafel}; beteilige dich an Wikis (z.B. Wikipedia) u.a.m.

Hier kommen nun die Memes. Auch die sind nur ein erster Versuch:


 

Nr. 1

 

Nr. 2a

 

Nr. 2b

 

 

Nr. 3

 

 

Nr. 4

 

 

Nr. 5

 

 

Nr. 6

 

 

Nr. 7

 

Nr. 8

 

Nr. 9

 

Nr. 10

 

 

Nr.11

 

 

Nr. 12

 

Nr. 13

 

 

 

 

 


 

Die vierzehn Inhalte habe ich nun in provisorische Memes überführt. Einige sind besser gelungen, viele sind verbesserungswürdig. Ich bin gespannt auf Rückmeldungen. Alle Memes wurden mit dem "Meme generator" erstellt. Die Rechte an den Bildern besitzt offensichtlich die iLOVEIMG, die den Generator betreibt. Manche davon transportieren das Gemeinte 1:1, andere brechen das Gemeinte ironisch über ein oder zwei Ebenen. Ich bitte um eine großzügige Auslegung. Letzter Satz: Ich versuche, überzeugende Verbesserungsvorschläge möglichst einzuarbeiten.

 


 

Literatur:

 

10 Gebote der Digitalen Ethik (o.J.), zitiert nach: https://www.digitale-ethik.de/digitalkompetenz/10-gebote/

Petra Grimm (2018): Grundlagen für eine digitale Wertekultur, zitiert nach: https://www.awo.org/sites/default/files/2018-09/TUP-Sonderband_2018_Grimm.pdf

Axel Krommer (@mediendidaktik_) (2019): Paradigmen und palliative Didaktik. Oder: Wie Medien Wissen und Lernen prägen, zitiert nach: https://axelkrommer.com/2019/04/12/paradigmen-und-palliative-didaktik-oder-wie-medien-wissen-und-lernen-praegen/#more-1509  

Luciano Floridi (2017): Die Mangroven-Gesellschaft. Die Infosphäre mit künstlichen Akteuren teilen, in: Philipp Otto und Eike Gräf (Hg.) (2017): Ethics. Die Ethik der digitalen Zeit.

Meme-Generator: https://www.iloveimg.com/meme-generator

Felix Stalder (@stafel) (2014): Kultur der Digitalität

Philipp Wampfler (@phwampfler) (2019): Medienkompetenz in der digitalen Transformation, zitiert nach: https://schulesocialmedia.com/2019/05/31/medienkompetenz-in-der-digitalen-transformation/

 

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