Beim nachfolgenden Text handelt es sich um eine Wiederveröffentlichung aus dem September 2021, jetzt mit neuer Überschrift. Ausgangspunkt war damals ein Bericht in der Wirtschaftswoche (WiWo), der euphorisch über den Neubau des zentralen Verwaltungsgebäudes der Debeka in Koblenz berichtete (siehe Literaturverzeichnis). Deutlich wurde dabei, dass modernste Konzepte zum Arbeiten gemäß der Ideen von New Work realisiert wurden und dass es die Anlehnung daran zu feiern galt. Daraufhin habe ich den Textkorpus belassen und lediglich durch Ersetzungen von Begriffen, einigen Sinnzusammenhängen und Sprachbildern denselben in eine Schulgebäude-Bildungsutopie verwandelt.
Man stelle sich mal vor: Am imaginären Hauptsitz der Kultusministerkonferenz, #KMK, entsteht ein neues Schulgebäude für 1900 Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und sonstigen Personal (Verwaltung, Sozialarbeit, Administration, Medienberatung u.ä.) beinahe ohne Klassen-/Schulzimmer, dafür aber mit Kommunikations- und Ruheflächen. Die Gemeinschaft der Kultus- und Bildungsministerien lässt damit das flexible Lernen und Verstehen mit offensichtlichen und nicht versteckten Bezug auf die Ideen von New Work in Holz und Stein neu erblühen. Warum nur am Hauptsitz der KMK? Nun, weil es zuerst ein Modell geben muss, an dem sich alle anderen orientieren können. Vielleicht würde sich der Text dazu dann so lesen:
Das Parkett ist besenrein, nirgends liegen Nägel oder Schrauben herum. Die Baustelle ist fertig für den Innenausbau. Oben am Gebäude montieren zwei Arbeiter bereits die letzten Fassadenelemente. Ein Kran hebt die Fensterscheibe zusammen mit Wandpanel hoch, die beiden Bauarbeiter manövrieren es langsam an die richtige Stelle und befestigen sie. Die Zukunft der Schulen im Land nimmt Gestalt an.
Direkt gegenüber dem alten Gebäude – teilweise aus dem 19. Jahrhundert – entsteht auf der der anderen Seite des Flusses, am „Neuen Ufer“ das „Neue Gebäude“ im Auftrag der #KMK für 1900 Menschen. Doch anstatt nur mehr Platz für Klassen-/Schulzimmer zu schaffen zementiert die #KMK dort eine neue Lernkultur. Ab Spätsommer 2022 werden die dort tätigen Menschen in dem Z-förmigen Gebäude verschiedenste, Arbeits-, Lern- und Verstehensplätze zur Verfügung haben. Denn alle 15 Etagen sind im Sinne von „New Work“ gestaltet.
Die Idee dahinter geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergman zurück, der damit die Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen in den Vordergrund rücken wollte. Der Trend, das Lernen und die (Verstehens-)Arbeit individueller zu gestalten, spielt spätestens seit der Coronapandemie in Unternehmen, Universitäten und Schulen eine wichtige Rolle. Auch mehr als zwei Drittel der Schüler:innen wünschen sich mehr Flexibilität und favorisieren eine Mischung aus Klassen-/Schulzimmer und dem Lernen (Verstehen) von Zuhause aus.
Obwohl seit Ausbruch der Pandemie alle Schüler:innen und Lehrer:innen das Arbeiten und Lernen zu Hause kennengelernt haben, möchte die #KMK nicht nur auf das Lernen und Verstehen von Zuhause aus setzen. Für die #KMK steht bei der Inspiration durch New Work das mobile Lernen im Vordergrund. Die #KMK setzt auf ein hybrides Modell aus freier Lernplatzwahl und Klassen-/Schulzimmer. Die Schüler:innen und Lehrer:innen sollen flexibel ihren Arbeits- und Lernort wählen können, ob Zuhause oder das Café nebenan, spielt dabei keine Rolle. Auch wenn jemand nur vormittags ins Schulgebäude reinkommt und nachmittags woanders weiterlernt – ja, warum nicht?
(Achtung! DIESER ARTIKEL IST DAS WÖRTLICHE ZITAT EINES WIWOS-ARTIKELS VON ANJA HOLTSCHNEIDER VOM 12.9.21 ZUR BUNDESTAGSWAHL 2021 UND HEISST IM ORIGINAL ‚DAS GEGENTEIL VON STROMBERG‘. BERICHTET WIRD DORT ÜBER DEN EINZUG VON NEW WORK AM HAUPTSITZ DER DEBEKA IN KOBLENZ). Einige BEGRIFFE, Sinnzusammenhänge und SPRACHBILDER SIND ERSETZT WORDEN. Die gendersensible Schreibweise wurde ebenfalls von mir hinzugefügt).
Komplett auf zimmerartige Einteilung verzichten, das will die #KMK dennoch nicht. „Wir brauchen weiterhin soziale Kontakte in klar definierten Lerngruppen“, sagt eine Sprecherin der #KMK. Die Schüler:innen und Lehrer:innen sollen sich auch künftig austauschen können und sich untereinander persönlich kennenlernen. Deshalb ist Ziel, einen Lernraum zu schaffen, der flexibel auf die Bedürfnisse aller Beteiligten eingeht. Eines, das kein Zwang ist, kein Muss, sondern Lust: „Wir wollen keine Homeschooling, keine Vereinzelung im Kinderzimmer, sondern eine Art „Officehome“ für alle schaffen, sagt die Mitarbeiter:in.
Doch ganz ohne Struktur geht es auch in der Post-Corona-Lern- und Arbeitswelt nicht: Ein neuer „Lern- und Verstehensvertrag“ legt fest, dass Schüler:innen und Lehrer:innen zwei Tage in der Woche mobil (Zuhause, im Café, im Klassen-/Schulzimmer, in einer Bibliothek oder …) lernen dürfen und die anderen drei Tage im Schulgebäude sein müssen.
Schon 2019 gründete der Zusammenschluss der Bildungsministerien in Deutschland ein „Innovation Center“, das seitdem neue Arbeits- und Lernkonzepte erprobt. Auch der Entschluss, das neue Gebäude auf mobiles Lernen und Arbeiten auszurichten, fiel bereits vor einigen Jahren. In manchen Schulen landauf und landab wurde auf Geheiß der #KMK wurde das neue Lernen und Verstehen schon getestet. In offenen Lernlandschaften wechseln sich kleinere mit größeren Schreibtischen ab, an denen bis zu vier Menschen, z.B. zwei Schüler:innen, ein:e Lehrer:in ein:e Medienberater:in beraten, coachen und lernen können. Schließfächer, Sofas, Sessel und Pflanzen verteilen sich zwischen den Arbeits- Lern- und Verstehensplätzen. Fehlende Wände garantieren einen freien Blick über die ganze Lernlandschaft, nur ab und zu unterbrochen von einem gläsernen „Konferenzraum“. Eingekapselte Beratungszimmer oder Klassen-/Schulzimmer gibt es kaum mehr. Erfahrungen aus dem „Innovation Center“ sind auch in die Gestaltung des neuen Gebäudes miteingeflossen.
„Auf“ den Lernlandschaften setzt die #KMK vor allem auf das Desk-Sharing, feste Lernplätze gibt es nicht mehr. Über eine Software können die Schüler:innen, Lehrer:innen und sonstigen Mitarbeiter:innen ihre Lernplätze reservieren. Dort hat jede definierte Lerngruppe eine sogenannte „Homebase“, eine Etage (oder ein Teil davon), die der Lerngruppe fest zugeteilt ist. Innerhalb dieser können die Schüler:innen in der Lernlandschaft ihren Lernplatz aussuchen. Für persönliche Gegenstände bekommt jede:r ein Schließfach. Auf den Medienplätzen befindet sich nur noch Monitor, Tastatur und Maus.
Die rund 16.000 Schüler:innen, Lehrer:innen und Mitarbeiter:innen von Utopia wurden im Zuge des neuen Lern- und Arbeitskonzepts mit Laptops und Tablets (oder Smartphones) ausgestattet, die sie zwischen den Lernorten i.d.R. transportieren. Natürlich koste es erst einmal Geld, alle mit den Geräten auszustatten, sagt die KMK-Mitarbeiterin. Aber die Schulträger sparen zukünftig eben auch Gebäudefläche und damit Kosten an anderer Stelle. Denn im neuen Gebäude werden für rund 1900 Schüler:innen, Lehrer:innen und Mitarbeiter:innen nur 1350 Lern- und Verstehensplätze vorgehalten. Die #KMK geht davon aus, dass alle Beteiligten die Flexibilität nutzen und nie alle Schüler:innen und Mitarbeiter:innen gleichzeitig im Lernhaus sein werden.
Flexibel arbeiten heißt auch, innerhalb der Homebase und – mit Einschränkungen – im ganzen Lernhaus seinen:ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Die Schüler:innen müssen nicht mehr einen ganzen Schultag an einem Schreibtisch sitzen, sondern können je nach Aktivität den dafür am besten geeigneten Arbeitsplatz aussuchen. Die Lehrer:innen und sonstigen Mitarbeiter:innen konnten verschiedene Module auswählen, um ihre Homebase zu gestalten. Ob Sofaecke zum Brainstorming, Glaswürfel, sogenannte „Cubes“, als Besprechungsräume oder Hochtische mit Hockern als Arbeitszonen: Die Auswahl ist vielfältig und kann auf die Bedürfnisse jeder Lerngruppe angepasst werden.
Bibliotheksähnliche Ruheräume für konzentriertes Arbeiten sind ebenso dabei wie kleinere Glaswürfel für Telefonate. Das New-Work-Konzept bezieht auch die Führungskräfte mit ein. Ein Einzelbüro hat nur noch die Schul- und Personalleitung, um beispielsweise Vertraulichkeit bei Mitarbeiter:innengespräche zu gewährleisten. Alle anderen Mitarbeiter:innen können sich entscheiden, ob sie gemeinsam mit allen auf der Fläche sitzen wollen. N.N., ein Oberstufenleiter, wagt diesen Schritt. Er hat sich gegen sein Einzelbüro und sogar gegen einen festen Arbeitsplatz entschieden. „Ich bin sowieso nicht acht Stunden lang an einem Platz“, sagt N.N. Deshalb brauche er auch kein Zimmer für sich allein.
Auch wenn der Umzug in das neue Gebäude erst im kommenden Jahr ansteht, kommuniziert die #KMK allen Beteiligten (auch den Eltern!) schon frühzeitig das neue Lern- und Verstehenskonzept. Hilfreich dabei ist die interne App, die 13.000 von 16:000 Schüler:innen, Lehrer:innen und Mitarbeiter:innen von Utopia nutzen. Die neue Flexibilität kommt bei allen Kindern und Jugendlichen, sowie Bürger:innen von Utopia gut an.
Das flexible Arbeiten lässt sich allerdings nicht auf jeden Job im Schulgebäude übertragen. Bei der Administration (Hardwarebetreuung) beispielsweise sei es schwierig, flexible Arbeitsorte anzubieten, mein die KMK-Mitarbeiterin. „Man darf New Work nicht über die Bedürfnisse von Schüler:innen und Lehrer:innen stellen“, sagt die KMK-Mitarbeiterin.
Literatur:
Anja Holtschneider (2021): ‚Das Gegenteil von Stromberg‘, in: Wirtschaftswoche 12.9.21, veröffentlicht frei zugänglich in Flipboard.
Isolde Maevert-Böhning, Inga Rochow, Michael Schöngarth (2021): Didaktik - Technik - Raum
Michael Schöngarth (2021): Didaktik - Technik - Raum II: Die Reaktionen
Die Fotos stammen von mir, dienen hier der Illustration und sind am 17.4.24 im InnovationSpin in Lemgo entstanden.
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