· 

Digitalisierung und Fortbildung IIIa (Medienethik)

Die Aufgabe könnte kaum größer sein: Die Philosophen und Philosophinnen wollen der Welt nichts weniger erzählen als das, dass die Welt nicht in eine mediale und nicht-mediale zerfällt, sondern Welt grundsätzlich als mediale zu verstehen ist. Darüber hinaus will ein Verständnis von gesellschaftlicher Realität unter Bedingungen der Digitalisierung unterstellt werden, in der das Buch nicht mehr das Leitmedium dieser Gesellschaft ist; schlimmer noch: dem Buch wird auch keine Blankoscheck mehr ausgestellt, auf dem es als 'gutes' oder gar 'höherwertiges' Medium gepriesen wird: 'Ein Buch ist [nur] ein Medium - ebenso wie das Online-Spiel. Es ist per se nicht besser oder schlechter als ein Computerspiel - es ist zunächst nur medial anders' (Rath, Marci-Boehncke 2019, 14). Zwei Aspekte sollen bezüglich der "Medien" oder des Medienbegriff meinem zweiten Teil des Aufsatzes hinzugefügt werden: Erstens, der auf McLuhan zurückgehende 'medial turn' und die Setzung der Medien auf einer technischen Ebene als unbeschriebene IKT-Infrastrukturen, die einer Datafizierung durch die Nutzer oder auch (Achtung Kunstwort!) 'Produser' harren.

 

'Kulturell ist der Umgang mit Medien bei uns in Deutschland besonders moralisch aufgeladen. Damit rückt er in Bereiche, über die sich schwer diskutieren lässt. Fast ähnelt er auch Tabus. Um unsere Einstellung zu Medien aus dieser Verdeckung hervorzuholen, müssen wir sie uns bewusstmachen - und zwar mit den bei uns gleichzeitig abgespeicherten Gefühlen. Die Angst vor Medien ist häufig ein Herrschaftsinstrument gewesen. Wenn wir eine demokratische Gesellschaft wollen, müssen prinzipiell der Zugang und der Anspruch auf kompetenten Umgang für alle Menschen möglich sein.

 

Rath und Marci-Boehncke verstehen hier (S. 13 f.) durchaus mit McLuhan, v.a. aber mit Krotz und mit Filipovic die Welt als durch und durch mediatisierte. In dieser Welt versuchen sie die Position der Philosophie neu auszuloten. Die Philosophie wird als Meta-Reflexions-Wissenschaft oder einfach als Medienethik bestimmt, die in der skizzierten Medientheorie notwendig in die Rolle der 'Folgenabschätzung' oder auch Risikoeinschätzung einzunehmen hat: 'Gerade weil sich menschliche Kommunikation auf der Basis technischer Entwicklungen anpasst, muss Philosophie als erste diese technischen Veränderungen im Hinblick auf die Folgen abschätzen'. Das Zusammentreffen beider Perspektiven führe schließlich dazu, 'Medienbildung in der Schule zu ermöglichen, und zwar so, dass die Schülerinnen und Schüler später medienkompetent an der Gesellschaft teilhaben können' (2019, S.9). Ziel ist die media literacy. 'Philosophie-/Ethikunterricht hat demnach heute die Aufgabe, mit der Mediatisierung ein möglichst breites 'epochales Bewusstsein' in der Gesellschaft zu verbreiten, das nicht nur in der Verantwortung von Wenigen, sondern in partizipativer Gestaltung menschlicher Gesellschaft bleiben muss. Die Autoren wollen damit zwei Aspekte für Lehrkräfte geklärt wissen: Diese haben nun 'a) einen eindeutigen Bildungsauftrag als normative Vorgabe der Gesellschaft sowie b) eine Plausibilisierung dieses Auftrags am 'Wohl' der Lernenden als capability (vgl. zum Capability Approach Konzept hier Sen und Nussbaum) einer aktiven Partizipation an der Gesellschaft' (2019, S. 9 f.). Der Hintergrund zu dieser Deutung ist wohl tatsächlich bei McLuhan zu finden. Der 'medial turn' bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass Medien 'erstens vermehrt und vermutlich bereits primär [...] die privilegierten Orte der Konstruktion kognitiv-sozialer Wirklichkeit(en) darstellen, und dass zweitens in der Konsequenz, die Verlagerung beziehungsweise Ausweitung des primären (geistes-)wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses von der Sprache (Linguistic Turn) über die Kognition (Cognitive Turn) auf die Medien (Medial Turn) überzugehen habe' (Schultz 2004, S. 39, mit Bezug auf Weber 1999).

 

Wie wird dazu die Lage der Jugendlichen definiert, die in der Schule die angestrebte media literacy erwerben sollen? Rath und Marci-Boehncke führen dazu aus, dass der 'Alltag der Jugendlichen immer und umfassend eine Medienalltag' ist und 'dass ein medienfreier Lebensvollzug prinzipiell nicht möglich ist. Auffällig dabei ist und das gilt es festzuhalten, dass ein gesellschaftlicher Medienwandel 'im Endeffekt' immer eine Entwicklung 'der Jugend' ist. (Daher auch im die Klagen "der Alten" über die Jugend: die unterschiedlichen Leitmedien der Generationen erschweren das intergenerationelle Verstehen). Die Jugend hat sich zu Beginn der 2010er Jahre mit dem bezahlbaren mobilen Internet in der Hosentasche, also mit dem universalen Kulturzugangsgerät (Lisa Rosa), aufgemacht, um die angebotenen Infrastrukturen zu nutzen. Byung-Chul Han hat dazu kritisch festgestellt, dass die Entwicklung der sozialen Medien zu einer Art digitalen Feudalismus geführt haben (vgl. "Müdigkeitsgesellschaft"). Digitales Land, ursprünglich und lateinisch 'das feudum', wurde als Informations- und Kommunikationstechnologie von den Besitzern dieser Strukturen bereitgestellt, damit es von Usern oder jetzt besser 'Produsern' bevölkert und bewirtschaftet wird. Das haben Sie getan und tun es immer noch. Und so blühen die Landschaften von Facebook, Instagram, Twitter und anderen auf. Das Lehen ("das Geliehene") gehört jedoch nicht den Produsern, es ist Ihnen zur Bewirtschaftung nur (aus)-geliehen. Die Feudalherren eignen sich anschließend die entstandenen Produkte an: im Mittelalter, also im Feudalismus, waren es das Korn, das Heu und das Vieh; darüber hinaus ging "der Zehnte" (Teil) an den Pfaffen. Heute heißen die Lehnsherren, die digitalen Fürsten der Gegenwart Google, Facebook, Twitter, Flipboard, Instagram usf. Ironischerweise fällt dabei auf, dass wir uns über den nunmehr benötigten "Cloudspeicherplatz" bei Amazon, Apple, Google, Microsoft u.a. auch an den Kosten der digitalen Infrastruktur beteiligen, also alles wie gehabt: auch im Mittelalter mussten die Lehensnehmer zunächst den Wald roden und die Wiesen trockenlegen, bevor ihr Lehen produktiv werden konnte.

 

Vor diesem Hintergrund ist es nicht schwer zu prophezeien, dass Datenmenge und Speicherkapazität und Rechenleistung weiterhin exponentiell steigen werden: Immer mehr digitales Land steht zum Beackern an. Dabei wird sich die Datenökonomie gleichfalls exponentiell ausweiten und wird nur noch mit Big-Data-Methoden (also mit algorithmischer Aufbereitung) Sinn aus all den Daten extrahieren können. So kommt auch Filipovic zum Ergebnis, dass "[d]ie Kapitalisierung unserer persönlichen Aktivitäten [...] vor nichts halt macht' (vgl. Filipovic 2014, S.12). Vor dem Hintergrund 'des Evangeliums' schreibt der Autor jedoch immer mit dem Ziel, die personale Autonomie aufrechtzuerhalten. Gegen Autonomie in feudalen Verhältnisse ist nichts einzuwenden. Es ist eher das bekannte Programm: Aufklärung, Mündigkeit, Autonomie. Es ist die Wiederholung des 18. Jahrhunderts unter digitalen Verhältnissen. In 2019 sieht Filipovic dann zusammen mit Steimer und Filipovic die Macht beim Produser liegen: 'Entscheidend ist, dass die Kapazität zur Datensammlung, -speicherung und -aufbereitung wesentlich auf die Nutzungstätigkeit des Menschen angewiesen ist. Speist niemand Daten in digitale Infrastrukturen ein, läuft die Kapazität ins Leere, und es entstehen keine Medien. Diese Dateneinspeisung der Mediennutzer/-innen hat mit der Entwicklung des Internets hin zum sog. Web 2.0 nunmehr eine genuin neue Bedeutung erhalten: Sie fungiert nicht mehr nur als Mittel, mit dem Anbieter Informationen raum- und zeitübergreifend weitergeben können. Über diese Vernetzung von Informationen hinaus implementiert sie nun die spontane Interaktion mit vernetzten Information [Bezug ist Münker 2019, S. 46]. Daten stehen Mediennutzer/-innen also darüber zur Verfügung, dass ihre Träger beschreibbar sind. D.h. Nutzer/-innen schreiben sich sozusagen selbst in Datenträger ein, setzen sich in Bezug zu eigens und von anderen produzierten Daten und partizipieren so an einer gemeinschaftlichen Interpretation algorithmisch aufbereiteter Datennetze'. Ein schöner Satz, nicht wahr? Die Autoren schaffen es hier wunderbar, die drei Formen der Digitalität von Stalder zu erfassen: Referentialität ("setzen sich in Bezug zu eigens und von anderen produzierten Daten"), Gemeinschaftlichkeit ("und partizipieren so an einer gemeinschaftlichen Interpretation") und Algorithmizität ("algorithmisch aufbereiteter Datennetze").

 

Ich fasse meine Ergebnisse zum Verständnis der mediatisierten Welt nun in einem Schaubild zusammen:

                      

Das #Schaubild "Die mediatisierte Welt" führt dem Anspruch nach die Gedanken von Stalder (Kultur der Digitalität, 2014), Krommer (Paradigmen und palliative Didaktik, 2019) und von Steimer/Filipovic (Ethik der digitalen Alltagsmedien, 2019) zusammen.

 

Auf dieser Basis will ich im weiteren Verlauf über Lernmodelle, Lernmittel und Lernhilfen über die Epochen berichten. Schließlich in der Kultur der Digitalität wieder angekommen, will ich abschließend um didaktische Grundrisse unter den Bedingungen der "Interaktion mit vernetzten Informationen" ringen.

 

 

 

Literatur:

 

Capability Approach (Begriff und Konzept), siehe unter "Befähigungsansatz" https://de.wikipedia.org/wiki/Befähigungsansatz

Alexander Filipovic (2015): Die Datafizierung der Welt. Eine ethische Vermessung des digitalen Wandels, in: Communicatio Socialis 1-15, S. 6 ff.

Byung-Chul Han (2010): Müdigkeitsgesellschaft.

Axel Krommer (2019): Paradigmen und palliative Didaktik, nach: https://axelkrommer.com/2019/04/12/paradigmen-und-palliative-didaktik-oder-wie-medien-wissen-und-lernen-praegen/#more-1509  

Alice Lagaay, David Lauer (2004) )Hg.): Medientheorien. Eine philosophische Einführung.

Stefan Münker (2012): Die Sozialen Medien des Web 2.0, in: Michelis, Schilhauer (Hg.): Social Media Handbuch: Theorien, Methoden, Modelle und Praxis, S. 45 ff.

Mathias Rath, Gudrun Marci-Boehncke (2019): Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt, in: ZDPE 1-2019, S. 6 ff.

Lisa Rosa (2014): Kulturzugangsgerät, kleine Abhandlung, in: https://shiftingschool.wordpress.com/2014/10/21/kulturzugangsgerat-kleine-abhandlung/

Oliver Lerone Schultz (2004): Marshall McLuhan - Medien als Infrastrukturen und Archetypen, in: Laagay, Lauer (Hg.), S. 31 ff.

Felix Stalder (2014): Kultur der Digitalität

Kristina Steimer, Alexander Filipovic (2019): Ethik der digitalen Alltagsmedien, in ZDPE: 1-2019, S. 15 ff.

Stefan Weber (1999): Die Welt als Medienpoiesis. Basistheorien für den 'Medial Turn', in: Medienjournal 1-1999, S. 3 ff.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0