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Digitalisierung und Fortbildung II

Die zweite Forderung an eine Fortbildung zum digitalen Unterricht: Der Medienbegriff muss geklärt werden! Im folgenden Text werden einige Thesen gesammelt und ggf. neu (aber im Sinne der Referentialität des Digitalen) zusammengestellt. Charakter des Textes: Remix.

 

Vorbemerkungen: Der folgende Text beruht im wesentlichen auf vier Autoren: Rath, Marci-Boehncke, Krommer, von Gehlen (in der Reihenfolge der Bezugnahme). Dieser Remix verfolgt lediglich das Ziel, Klarheit darüber zu erhalten, inwiefern Fortbildungsprojekte (später an das Fach Philosophie geknüpft), vorab den Medienbegriff klären müssen. Die ersten beiden Autoren wollen in Ihrem Aufsatz, erschienen in der 'Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik' Vorüberlegungen zum Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt vorlegen. Axel Krommers Aufsätze verfolgen im Wesentlichen das Ziel, vor falschen (unterrichtlichen) Schlussfolgerungen zu warnen, die zu erwarten sind, wenn ein völlig falscher Medien-Begriff verwendet wird. Dirk von Gehlens Pragmatismus-Prinzip wird hier zitiert, weil dort mit den umstrittenen Entwicklungen von Sprache, hier dem Aufkommen der Emojis, noch einmal nachdrücklich (wie bei den vorher genannten Autoren ebenfalls) vor einer pessimistischen Kulturdeutung (Verfall oder Untergang) gewarnt wird. 

 

1. Die Autoren Rath und Marci-Boehncke beginnen ihren Text mit einem Knalleffekt, frei nach dem Motto, 'das beste Mittel gegen eine verbreitete Medienskepsis ist das Postulat der alltäglichen Nutzung von Medien 'zu allen Zeiten' (nicht nur in der Gegenwart) als unausweichliche Nutzung (Rath, Marci-Boehncke, S. 6, Hervorhebung von mir, M.S.).

 

Mit Bezug auf Cassirer und dessen animal symbolicum setzen die Autoren ein Verständnis von menschlicher Kommunikation als zeichenvermittelte, so dass 'Medien' als 'grundsätzliche Vermittlungsinstanz, die uns mit der Welt verbindet', gedeutet werden. Die Medienpraxen des Menschen sollen daher im Folgenden 'als Ausdruck einer grundsätzlichen funktionalen Medialität des Menschen' verstanden werden, 'die die conditio humana ausmacht' (ebd.).

 

So ist dann auch das postulierte Programm für eine anzustrebende Medienkompetenz (in den Schulen: für Schülerinnen und Schüler und für Lehrerinnen und Lehrer) der Autoren zu verstehen:

'a) Diese anthropologisch grundsätzliche Medialität macht eine medienfreie Lebenswelt oder einen medienfreien Alltag undenkbar. Medienkritik kann sich nur auf bestimmte Medieninhalte und bestimmte Medienpraktiken beziehen - nicht auf Medien schlechthin.

b) Die Bedürftigkeit, Welt und Mitmenschen medial zu erfassen, macht die Fähigkeit oder Kompetenz notwendig, dies auch wirklich eigenständig, bewusst und verantwortungsvoll zu tun. Problematische Mediennutzung wird nicht durch Medienverbote beendet, sondern lässt sich nur durch Medienkompetenz verändern' (Rath, Marci-Boehncke, S. 8).

 

Im weiteren Verlauf verbinden die Autoren Ihre Thesen mit dem Mediatisierungs-Verständnis menschlicher Kommunikation von Krotz (vgl. dazu Friedrich Krotz, 2007, Mediatisierung. Fallstudien zum Wandeln von Kommunikation, Wiesbaden). Mediatisierung wird als Meta-Prozess der Kommunikation verstanden. Die Leistung der Mediatisierungs-These wird sodann wie folgt formuliert: 'Sie [die Mediatisierungsthese, M.S.] führt vor Augen, dass es sich bei dem Bewusstsein der Mediatisierung und damit der Reflexion auf die jeweiligen kommunikativen Folgen der medialen Entwicklung nicht um etwas handelt, was nur individuell bedeutungsvoll und definierbar [...,] ist - sondern um ein Epochenphänomen, das gesellschaftliche Kommunikation als notwendig medial und eben nicht nur auf einer individuellen, sondern auch auf der institutionellen und der gesamtgesellschaftlichen Ebene bestimmt. Heute ist die maßgebende mediale Epochengestalt die Digitalisierung und mit ihr die Datenpräsenz des Einzelnen im digital-medialen Netz' (vgl. Rath, Marci-Boehncke, S. 8 f., die Kursiv-Hervorhebungen hier durch die Autoren). In Folge dieser Re-Konstruktion des Medienbegriffs gerät das Ziel für Bildungsprozesse in den Blick: die Media literacy (ebd.).

 

Vor diesem Hintergrund gelingt m. E. die Entzauberung eines falschen Medienbegriffs, der als 'Common-Sense'-Begriff oder gar als Werkzeug-Begriff bis 2018 relativ unwidersprochen die Runde machte, noch leichter. Axel Krommer hat in 2018 sowohl den seltsam zusammengeschusterten Medienbegriff Klaus Zierers als auch das zumeist naive Verständnis von Medien, wie der Begriff an Schulen verstanden und verwendet wird, dekonstruiert. Im Aufsatz 'Wider dem Mehrwert! Oder: Argumente gegen ein überflüssigen Begriff unter Bedingungen der Digitalität' zitiert er Frau Frehoff, die in der Theodor-Storm-Schule, Husum, tätig ist (Youtube-Link): 'Medien sind [...] einfach Werkzeuge des Unterrichts. Mit Medien kann man nur Dinge einfacher oder schneller machen oder in größere Zusammenhänge stellen, einfacher miteinander verknüpfen. In dem Sinne benutzen wir unsere digitalen Werkzeuge wie alle anderen Unterrichtsinstrumentarien auch'. Diesen Beitrag dekonstruiert Krommer mit der bereits legendären Lern-Ziele-Reise-Ziele-Analogie. Dies führt ihn dann zu folgender Schlussfolgerung, in der - ganz nebenbei - auch der 'Mehrwert'-Begriff einfach durch 'Wert' ersetzt wird:

 

'Der Mehrwert digitaler Medien besteht daher keinesfalls darin, alte Ziele schneller, einfacher, besser, nachhaltiger etc. zu erreichen [...]. Ihr Wert besteht vielmehr darin, als konstituierende Formen die Zieldimensionen des Unterrichts signifikant zu erweitern. Für diese entscheidenden Zusammenhänge bleibt man blind, wenn man im Unterricht (implizit oder explizit) auf der Grundlage des Werkzeug-Medienbegriffs plant'. (Krommer 2018b).

 

Wie einfach man das anhand der zwei Medien-Welten des Pinguin erklären kann, hat jüngst Muuß-Merholz gezeigt (Der Hinweis erneut von Krommer):

 

 

 

2. Im vermeintlichen Standard-Werk von Klaus Zierer 'Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik' versucht dieser ein Beispiel für das SAMR-Modell, Stufe S zu geben (Substitution). Krommer zitiert: 'Für gewöhnlich schreiben Schülerinnen und Schüler ihre Geschichten mit Papier und Bleistift. [...] Wird nun anstelle von Papier und Bleistift der Computer verwendet, so erfolgt zwar eine Digitalisierung im Lernprozess, aber ausschließlich auf der Ebene der Ersetzung: Papier und Bleistift werden durch einen Computer ersetzt. Ein Mehrwert wird dadurch nicht möglich sein. Die Geschichte wird durch den Einsatz eines Computers keine andere werden'. Krommer kann im Anschluss zeigen, dass auch diese Vorstellung falsch ist und zitiert dazu Nietzsche; schon der merkte beim Schreiben mit dem damals neuen Medium Schreibmaschine, dass sich sein Denken und seine Texte veränderten. Die demgegenüber vereinfachenden Vorstellungen zum Medium (Sender-Empfänger-Modell nach Shannon, Weaver) werden allein schon durch die Quellenangaben als Common-Sense-Vorstellungen entlarvt (vgl. Krommer 2018a).

 

Krommer zeigt in diesem Zusammenhang auf (mit Bezug auf McLuhans Medienbegriff und Postmans Hinweis auf die Rückwirkungen der Medien auf das Denken), dass sich sehr wohl Auswirkungen ergeben und zitiert dazu den Deutschdidaktiker Staiger: 'Es ist also keineswegs gleichgültig, ob ein Satz mit Kreide an die Tafel geschrieben wird oder ob er als Projektion einer Overhead-Folie oder eines Computerbildschirms erscheint, die Medienästhetik hat immer einen entscheidenden Einfluss auf die Medienwirkung' (Krommer 2018a).

 

Computer, Tablets und Smartphones verändern unser Denken und Schreiben. Denken Sie nur an die Emojis! Dazu schreibt Dirk von Gehlen im' Pragmatismus-Prinzip': 'Vyvyan Evans hat darauf hingewiesen, dass Emojis die gleichen Prinzipien der Kommunikation untermauern, die auch der gesprochenen Sprache zu Grunde liegen. Es wäre demnach also nicht ganz abwegig, Emoticons und Emojis als digitalen Dialekt zu interpretieren, also als geschriebenen Sprachcode, der von Menschen in digitaler Kommunikation verwendet wird. Dieser Code zeichnet sich dadurch aus, dass er zwar geschrieben ist, aber starke Anlehnungen an die gesprochene Sprache zeigt. [...] Selbstverständlich ist ein solcher Dialekt nicht frei von Problemen. [...] Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch weist darauf hin, dass Emojis 'in einer komplexen Beziehung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit' stehen: 'Einerseits sind sie Abbild, andererseits formen sie unser Verständnis des Bezeichneten. In einer zunehmend heterogenen Gesellschaft werden sie damit unweigerlich zu einem Austragungsort von Kämpfen um Identität und Sichtbarkeit' (von Gehlen, S. 122 f.). Man könnte ergänzen: Dies Kämpfe finden statt in der Kultur der Digitalität, in der auch um Commons vs. autoritärer Gesellschaft gestritten wird.

 

Ohne Smartphone-Revolution keine Revolution des Schreibens (mit Emojis). Diese Revolution wird von manchen nach wie vor als Untergang der Kultur via Sprachverfall gedeutet. Aber genau so wenig wie Kultur untergeht, genau so wenig geht Sprache unter, (mit von Gehlen würde man sagen:) Kultur und Sprache gehen nicht unter sondern weiter! Die Emojis sind eben nicht nur vereinfachende, das Denken simplifizierende Zeichen, sondern es sind Zeichen, die neben einem rationalen Inhalt auch einen emotionalen Inhalt extrem verdichtet übertragen können (Wobei der Begriff der Übertragung problematisch ist: Neben der Übertragung ist selbstverständlich die Referentialität des Epochenphänomens der Kultur der Digitalität zu berücksichtigen, die die Übertragungen eben nicht rein 'neutral' zu Übertragungen ,stempelt' (Begriff des Gutenberg-Paradigmas), sondern zugleich verändert und auflädt).

 

 

3. Fazit: Mit Rath / Marci-Boehncke wissen wir, 'dass ein medienfreier Lebensvollzug prinzipiell nicht möglich ist' (ebd., S. 12); Muuß-Merholz hat sehr anschaulich gezeigt, wie Pinguine und wir vom Medium umgeben sind. Die Schüler und Schülerinnen sind mit bis zu 99 Prozent mit Smartphones ausgestattet. Das Smartphone ist das 'maßgebende Mediengerät' (Die Zahlen stammen aus der JIM-Studie, zitiert nach ebd., S. 11). Es ist ihr Medium.

 

Gleichzeitig setzen neun von zehn Lehrer*innen dieses 'maßgebende Mediengerät', nie im Unterricht ein (vgl. MonitorLehrerbildung). In dieser hybriden Umgebung, in der in Schule gleichzeitig Schüler und Schülerinnen unterrichtet und erzogen werden, die vollständig und zunächst naiv in der Kultur der Digitalität 'zu Hause' sind, und an der zugleich Lehrerinnen und Lehrer zu großen Teilen nicht teilhaben an dieser digital-mediatisierten Welt und das Nicht-Teilhaben auch auf das Fehlen von Begriffen, Vernetzung und Theorien basiert, muss Fortbildung als Projekt Aufklärung, meinetwegen als Aufklärung 2.0, angelegt werden: 'Mündigkeit unter den Bedingungen der Digitalisierung ist also gar nichts Neues, gar eine eigene Kompetenz sui generis, sondern das, was sie schon immer war: das Vermögen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und dabei weder Heils- noch Verfallsgeschichten auf den Leim zu gehen' (Baum, 2018, S. 7). Übersetzt auf 'Fortbildung 2.0' meint das wohl ein Doppeltes: A. Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, um (selbstverschuldete) Unmündigkeit mit neuen Begriffen, Paradigmen und Theorien zu überwinden und B. durch persönliche Lernnetzwerke, also durch das Angebot der Vernetzung, Mut zu machen und somit mutigere Kollegen und Kolleginnen zu gewinnen.

 

 

Literatur:

 

Patrick Baum (2018): Netze und Netzwerke, in: EU 1-18, S. 4-7, hier S. 7.

Dirk von Gehlen (2018): Das Pragmatismus-Prinzip, München.

Jöran Muuß-Merholz (2019): Das Pinguin-Prinzip, in: https://youtu.be/cLaNeNbVQyQ 

Axel Krommer (2018a): Wie ein Common-Sense-Medienbegriff zu pädagogischen Fehlschlüssen führt, in: https://axelkrommer.com/2018/08/27/wie-ein-common-sense-medienbegriff-zu-paedagogischen-fehlschluessen-fuehrt/ , zuletzt aufgerufen am 23.4.2019 

Axel Krommer (2018b): Wider den Mehrwert! Oder; Argumente gegen einen überflüssigen Begriff, in: https://axelkrommer.com/2018/09/05/wider-den-mehrwert-oder-argumente-gegen-einen-ueberfluessigen-begriff/ , zuletzt aufgerufen am 23.4.2019

Monitor Lehrerbildung (2019): zitiert nach: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Schulen-sind-Smartphone-freie-Zonen

Matthias Rath, Gudrun Marci-Boehncke (2019): Philosophieunterricht unter den Bedingungen der digital-mediatisierten Welt, in ZDPE 1-19, S. 6-15.