ein Text von Tobias Bock und Michael Schöngarth
1. Ausgangspunkte Maker Movement
Die Wurzeln der Maker-Bewegung sind vielfältige. Andres stellt die Do-it-yourself (DIY) - Wurzel neben andere "Arts-and-Crafts-Bewegungen des späten 19. Jahrhunderts. Wichtige Impulse kamen im (späten) 20. Jahrhundert aus der Hacker- und Repair-Kultur und zusätzlich aus generell konsumkritischen Bewegungen. Schließlich sind Ideen des Teilens statt Besitzens und der Open-Source-Bewegung in das Making-Konzept eingeflossen (vgl. Andres 2018). Seit 2005 gibt es in den USA die Zeitschrift "Make", deren dt. Pendant seit den 2010er-Jahren im Heise-Verlag erscheint. Das dort erklärte Zeitschriften-Konzept fasst noch einmal alle Einflüsse und Intentionen anschaulich zusammen:
"Make – Die Zeitschrift für Selbermacher. Die Zeitschrift Make veröffentlicht Bauberichte und Schritt-für-Schritt-Anleitungen für kreative Projekte. Egal ob Einsteiger oder Profi, für jeden ist etwas dabei. Zusätzlich bietet die Redaktion grundlegende Informationen zu Elektronik und Technik, die dem Leser auch bei eigenen Projekten weiterhelfen. Das Make-Magazin bringt 7 x pro Jahr Interviews mit genialen Makern und spannende Reports über FabLabs und mehr aus der DIY-Bewegung. Unabhängige Testberichte über Werkzeuge und Zubehör helfen bei der Zusammenstellung der eigenen Maker-Grundausstattung. Die Make-Redakteure sind Teil der Maker-Szene in Deutschland. Aus einer Kooperation mit der amerikanischen Maker Media Inc. mit der ehemaligen Zeitschrift c’t Hacks ist das deutsche Make-Magazin hervorgegangen mit dem Ziel, Maker aus ganz Deutschland miteinander zu vernetzen. Hat Sie das Do-It-Yourself-Fieber (DIY) gepackt und sind Sie auf der Suche nach Inspirationen zu einzigartigen Projekten mit Raspberry Pi, Arduino, 3D-Drucker, CNC-Fräse und Lötkolben? Dann ist Make genau das Richtige für Sie!" (vgl. https://kurzelinks.de/16ne).
Deutlich erkennbar wird, dass die Maker-Bewegung das "alte" Handwerk mit "neuer" Technik verbindet. Der 3D-Drucker galt und gilt hier als Schlüsseltechnologie, da das Gerät Unabhängigkeit aller Maker von industrieller Fertigung verspricht. Mit Software und einem 3D-Drucker lebt die Hoffnung, fehlende Teile, besondere Bauteile, zerstörte Bauteile und Unikate selbst herstellen zu können. Das Tüfteln und Ausprobieren, das Arbeiten mit Herz, Hand und Kopf, um dabei Wissen über das Funktionieren der Dinge zu erhalten, war und ist die Triebkraft der Maker:innen.
Die Maker-Szene heute ist vernetzt (siehe auch oben das Selbstverständnis zur Zeitschrift). Die Vernetzung war schon immer nötig, denn nur mit Gleichgesinnten konnten Ideen und Materialien getauscht werden. "So haben sich in den letzten Jahren Veranstaltungen - die sogenannten Maker Faires - entwickelt. Bei einer Maker Faire werden Projekte und Ideen der Öffentlichkeit präsentiert und es findet ein Erfahrungs- und Wissensaustausch statt [...] In Maker Faires werden außerdem auch Workshops angeboten, es gibt Mitmachstationen, an denen man Dinge ausprobieren und anfassen darf [...] Weiterhin sei erwähnt, dass Education bei Maker Faires eine wesentliche Rolle einnimmt [...], Kinder, Jugendliche und Schüler sollen 'auf einer kreativen und spielerischen Weise für Wissenschaft, Technik und dem lustvollen Umgang mit Materialien und Werkzeugen begeistert werden" (Andres, 2018, zitiert hier Steffan 2018, Fett-Hervorhebung von uns).
2. Making und Lernen: Konstruktivismus und Konstruktionismus
Mit Piaget als einem der Vordenker des Konstruktivismus kann das Wechselspiel zwischen "innen" und "außen" des Lernenden gut verstanden werden. Die Menschen konstruieren die Außenwelt aufgrund eigener Erfahrungen als ihr eigene Innenwelt, dabei kommt es permanent zu einem Abgleich von "innen" und "außen". Lernen wird als ein aktiver Prozess aufgefasst. Pertubationen (Störungen), die als Ereignisse aufgefasst werden, die das aktuelle Gleichgewicht von "innen" und "außen" in Unordnung bringen, regen das aktive Lernen an. Die "Reflexionen" auf das eigene Tun fügte John Dewey in seinem erziehungstheoretischen Ansatz des Learning by Doing hinzu. "Laut Dewey ist der pädagogische Sinn beim „Etwas-Machen“ erst dann gegeben, wenn man über das Gemachte nachdenkt und aus dem „Etwas-Machen“ ein Lernprozess wird. In seinem Ansatz gibt er dem Begriff Erfahrung einen großen Stellenwert. Als Erfahrung stellt er das besondere Verhältnis zwischen den Lernenden und dem Lerngegenstand dar. Der Begriff Erfahrung bildet eine Abgrenzung zum reinen Tun. Dewey unterscheidet zwischen der aktiven und passiven Erfahrung" (Andres 2018, S. 23).
Abbildung 1 - Diese Abbildung soll den Unterschied zwischen den beiden Auffassungen verdeutlichen, gefunden bei Andres 2018, S. 23.
Es war schließlich Seymour Papert, der aus den vorliegenden erkenntnis- und erziehungstheoretischen Überlegungen aus Konstruktivismus den Konstruktionismus entwickelte. Im Konstruktionismus kommt es auf das aktive Handeln an, man könnte hier durchaus auch mit H. Meyer und anderen Pädagogen der 1970er und 1980er Jahre von der Versöhnung von Kopf- und Handarbeit sprechen. Papert postulierte: "From constructivist theories of psychology we take a view of learning as a reconstruktion rather than as a transmisson of knowledge. Then we extend the idea of manipulative materials to the idea that learning is most effective when part of an activity the learner experience al constructing a meanigful product" (zitiert nach Andres 2018, S. 23, vgl. auch Abbildung 1).
Auf der Grundlage seiner Lerntheorie gründete Papert selbst 1999 ein Learning Lab. Dazu verfasste er acht Ideen wie sein Learning Lab funktionieren sollte (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2 - Paperts 8 Punkte für das Learning Lab
3. Lernen im Maker-Space ist auch eine Antwort auf kulturkritische Deutung der Digitalisierung
Das Lernen mit "Kopf, Hand und Herz" im Maker Space ist auch eine Antwort auf den konservativen und bewahrpädagogischen Kulturpessimismus, der Kinder nur noch beim "Hin-und-her-Wischen" auf digitalen Endgeräten erwischt. Im Maker Space können in Kombination mit einer echten Kultur der Digitalität wesentliche Forderungen der Reformpädagogik einerseits und der Medienbildung andererseits eingelöst werden. Daher erscheint uns die Forderung, Maker Spaces in der Lehrer:innenausbildung einzusetzen, dringender denn je. Reformpädagogische Entwicklungen und Erfahrungen rund um das offene Lernen, d.h. Methoden, bei denen Kinder und Jugendliche über Lernziele und -wege bestimmen können, sind eine wesentliche Grundlage für Making-Aktivitäten, bei denen langfristig selbstorganisiertes Lernen ermöglicht werden soll.
In einer technisierten Gesellschaft, in der programmierte Maschinen und datenverarbeitende Algorithmen in diversen Anwendungen und Geräten unseren Alltag prägen, kann diese Lernerfahrung als eine wichtige Grundlage von selbstbewusster, selbstbestimmter und reflexiver Lebensgestaltung gesehen werden. (Notabene: Der Maker Space liegt quer zum Technologieeinsatzmodell SAMR, vgl. auch Kritik am SAMR-Modell).
4. An welchen Stellen bietet "Making" Anknüpfungspunkte hinsichtlich des Medienkompetenzrahmens NRW?
Abbildung 3 - Bildquelle: https://medienkompetenzrahmen.nrw.de/
Kompetenzbereich des MKR |
Beispiele für Making |
Bedienen und Anwenden |
Sämtliche Aktivitäten des Making zielen u.a. auf Bedienen und Anwenden von digitalen Medien. |
Informieren und Recherchieren |
Z.B. durch den Einsatz von Virtual-Reality-Brillen, recherchieren mit dem Smartphone, Medienprävention etc. |
Kommunizieren und Kooperieren |
Im Making werden die Fähigkeit analog und digital zu kommunizieren und zu kooperieren intensiv geschult. |
Produzieren und Präsentieren |
Praktische Umsetzungsmöglichkeiten bieten hier z.B. Filmproduktionen z.B. im Stop-Motion-Verfahren, Verwendung von Greenscreens für variable Hintergründe. Filmschnitt mit dem IPad, Erstellung von Audioaufnahmen für Interviews, Hörspiele etc. |
Analysieren und Reflektieren |
Möglichkeiten und Grenzen von Hard- und Software ermitteln und beurteilen, etc. |
Problemlösen und Modellieren |
Funktionsweisen von digitalen Medien erproben, z.B. programmieren mit Lego-WeDo/Dash. Schaltungen einrichten und Programmieren mit Calliope Mini bzw. programmieren ohne Rechner sind weitere Möglichkeiten. |
5. Maker Space in Studienseminaren und Zentren für schulpraktische Lehrer:innenausbildung (ZfsL)
Grundsätzlich kann Making im Prinzip in fast jedem Setting angewendet werden. Günstig für Ausbildung und Lernen ist allerdings, wenn es besonders ausgestattete Lernräume gibt, in denen das Making gezielt und in Ruhe erprobt werden kann. Diese Räume nennt man Maker Space (Sämtliche andere Bezeichnungen, z.B. Media-Lab oder Lernbüro bezeichnen das gleiche). Die Anwendungen reichen weit über das allgemeine pädagogische Seminar hinaus. Er kann von den naturwissenschaftlichen Fächern, der Mathematik und der Informatik eingesetzt werden. Dazu kommen Kunst, Musik und die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer inklusive Praktische Philosophie und Religion (vgl. Andres 2018, S. 22 ff.).
Der Maker Space ermöglicht die Einlösung eines der wesentlichen 21st Century Skills: das Meta-Lernen. Dazu Andres: "[..., so] konstatiert Papert, dass man für sein eigenes Lernen Verantwortung übernehmen muss. In diesem Sinne müssen Schüler lernen zu lernen. Damit legt er die Idee des Konstruktivismus dar, dass Wissen nicht vermittelt werden kann. Weiterhin gibt Papert in seinem fünften Punkt an, dass Schüler für das Lernen und ihre Arbeit sich die Zeit nehmen sollen. Im weiteren Punkt betont Papert die Relevanz des Fehlermachens. Fehler machen sei etwas Legitimes und wichtig für den Lernprozess" (Andres, 2018, S. 25, vgl. auch Abbildung 2).
Wir können mit den Hinweisen von Papert heute im Jahr 2022 erkennen, dass die Etablierung einer positiven Fehlerkultur im Maker Space erlernt werden kann. Anleihen sind jederzeit aus der Software-Entwicklung hinzuzunehmen: Lernen und Leben ist Bug-Fixing.
Daher empfehlen wir im Kontext von "Didaktik-Technik-Raum" dringend die Einrichtung von Maker Spaces in allen Ausbildungsstätten der Lehrer:innenausbildung. Die folgende Zusammenstellung soll eine Orientierung für den Start in oder mit einen Maker Space bieten. Darüber hinaus kann es durchaus sinnvoll sein, einen Bereich für Gaming und VR vorzuhalten, um etwa die Prinzipien von Storytelling in den Geschichten der Gegenwart zu erlernen. Die Ausstattung des Raums sollte insgesamt so variabel sein, dass verschiedene Settings umgesetzt werden können.
Die Anschaffung folgender Medien wird als Grundausstattung empfohlen:
Produkt |
Beschreibung |
Nutzen |
Behringer Podcast-Studio |
Diverse Tonaufnahmen (Deutsch, Fremdsprachen und Musik: z.B. Hörspiele, Bandbreite des Musikunterrichts usw. |
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Greenscreen |
In Stoff- oder Leinwandqualität, ggf. Wandbereich mit Farbe |
Realistische Hintergründe, die digital auf ein grünes Tuch gelegt werden ermöglichen kreative Filmaufnahmen mit Schüler:innen |
Makey Makey |
MakeyMakey classic |
Einstieg in kreative Programmierprojekte |
Lego-Set “Boost” |
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Programmierbares Robotik-Set |
“Dash” |
Eine bereits umfassend didaktisierte Lernumgebung ist vorhanden und konform mit dem Lehrplan/Fachschwerpunkt „Sachunterricht“. Es wird hier einfach, weil bildbasiert „programmiert“ (mit den „Kindersprachen“: Scratch, Blockly und Swift) |
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Ozobot |
Ozobot 2.0 Starter-Pack |
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Calliope Mini |
Frühes Programmieren in der Grundschule / Programmieren in Sekundarstufe und Oberstufe |
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Raspberry Pi |
Raspberry Pi 4 (Bundle) mit Schutzhülle |
Erweitertes Programmieren … |
KameraModul für RaspberryPie |
Modul zur optischen Erfassung von Formen/Strukturen |
Zusammenarbeit mit KI |
K.I. – Einheit für Raspberry-Anwendungen |
Google – TensionFlow – Cortex-Modul |
Zusammenarbeit mit Kamera-Modul |
MergeCube |
3D-Visualisierung von (selbst-)programmierten Objekten |
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iPad-Koffer |
16 iPads |
Zugang zu professionellen Apps und Programmen
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„Informatik ohne Strom“ (Schweiz, Honegger) NatWiT AS (Universität Köln)
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Grundlagen |
Materialien, die das informatisches Denken fördern, aber ohne technisches Gerät in vielen Fächern einsetzbar sind. |
Medienbibliothek: „Standardwerke“ digitaler Bildung / Angebote von z.B. Klicksafe, LfM-NRW, Bundeszentrale für politische Bildung usw.
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Basiswissen |
Auch „Digitale Selbstverteidigung“ (Prävention und Medienkritik) |
ggf. zusätzlich: Werkzeugkasten, Lötkolben sowie VR-Brillen, Spielekonsole mit Bildschirm, ca. 40 Zoll.
Wir haben uns orientiert an den Empfehlungen zum Maker Space des pädagogischen Leiters des Medienzentrum des Rhein-Kreis-Neuss. Daher schließen wir mit besonderen Dank an Marc Albrecht-Hermanns. Sein Blog-Artikel zeigt ein vollständiges Konzept zum Maker Space: Raum, Ausstattung, Fortbildungsperspektiven, Öffnung für Ferienkinder, Eltern und Lehrer:innen. Vier weitere Anregungen findet man auf dem Padlet von Jan Marenbach: Maker Space Ausstatter, Medienwerkstatt, Lernbüro - alles im weiteren Sinne Maker Spaces (wie auch oben postuliert).
6. Literaturverzeichnis:
Marc Albrecht (2022): Konzept für einen Makerspace, nach: Konzept für einen Makerspace – FortbildungPunktSchule (wordpress.com)
Andres, Ieves (2018): Making und Coding im schulischen Kontext - Potentiale, Chancen und Herausforderungen, zitiert nach: https://www.medienpaedagogik.uni-mainz.de/files/2018/06/bachelorarbeit-ieva-andres3172.pdf
Make – Die Zeitschrift für Selbermacher, nach: https://kurzelinks.de/16ne
Jan Marenbach (o.Z.): Schule - mein Wunschkonzert, nach: https://padlet.com/janmarenbach/WunschSchule
Steffan, Phillip (2018). Was ist eine Maker Faire?. Maker Faire. Verfügbar unter: https://maker-faire.de/was-ist-eine-maker-faire/ [Stand: 1.4.2018].
vgl. auch:
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