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CyberSociety? Es war einmal ...

... in den 1990er Jahren: Das Studium neigte sich dem Ende zu, die Tagesschau faselte von "Daten-Autobahnen" (in der Zukunft), wir hatten den Terminator 2 - Tag der Abrechnung bestimmt 10x gesehen, wir schauten außerdem natürlich den Rasenmähermann, Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit, Das Netz, Vernetzt/JonnyMnemonic und schließlich Pulp Fiction. Plötzlich kamen jedoch Kommilitonen mit komischen Botschaften, wie: "Ich habe jetzt eine E-Mail-Adresse", meine Antwort in Frageform lautete: "Wofür braucht man denn so 'was?" Im Hochschulrechenzentrum gab es im Sommersemester ein besonderes Angebot aus der Soziologie: Achim Bühl führte uns in die Nutzung des World-Wide-Web mit dem Netscape-Navigator ein (und noch hieß "www" Warten-warten-warten, ich meine: im Hochschulrechenzentrum!). Wir lernten "telnet" kennen, die "Newsgroups" und schließlich auch Email (Jetzt hatte auch ich eine Adresse). Wenn man Glück hatte, konnte man eines der raren "Everconnect"-Modems (ein genialer Marketing-Name!) im "großen" oder "kleinen Computerladen" (die hießen wirklich so!) kaufen und anschließend vom Studentenzimmer in das WWW eintauchen. Aber noch einmal zu Achim Bühl. Er bereitete damals seine Publikation "CyberSociety. Mythos und Realität der Informationsgesellschaft" vor. Daher waren wir neugierig auf seine Thesen in Buchform. Als CyberSociety 1996 vorlag, konnten wir immerhin einen Zugewinn an Begriffsklarheit verzeichnen. Gleich zu Beginn wendet Bühl sich gegen die Metapher von der Datenautobahn (engl. Infohighway), die nicht viel mehr als "Geschwindigkeit" u.ä. transportiert und setzt die Metaphern entgegen, die eher Sozietäts-Assoziationen ermöglichen: Vom Cyberspace (von Gibson und dem Cyberpunk) über "virtuelle Gemeinschaft", "globales Dorf" und Informationsgesellschaft kommt er schließlich zu seinem Vorschlag CyberSociety:

 

"Unter CyberSociety verstehen wir eine virtuelle Gesellschaft; eine Gesellschaft, in der Produktion, Distribution und Kommunikation weitgehend in virtuellen Räumen stattfinden, im Cyberspace. Dabei wird der Cyberspace, die weltumspannende Matrix, den realen Raum nie gänzlich ersetzen, er wird ihn jedoch in vielfältiger Weise ergänzen und überlagern, tendenziell aber auch verdrängen und substituieren. In der CyberSociety tritt der Cyberspace an die Stelle des realen Raumes, die virtuelle Zeit an die Stelle der Realzeit. Aus analytischen Gründen verwenden wir zur Charakterisierung des epochalen Wandels das Unterscheidungskriterium der Virtualisierung. Die Virtualisierung trennt die klasse Industriegesellschaft von der CyberSociety.[...] Das Ergebnis der Virtualisierung bezeichnen wir als Virtualität, [d]ie so strukturierte Gesellschaft als virtuelle Gesellschaft oder CyberSociety"(Bühl, 1996, S. 38).

Und weiter auf S. 40:

"Die Technologie der Virtual Reality als technologische Grundlage des Cyberspace stellt so ein Medium dar, für das der Ausspruch Marshall McLuhan 'the medium is the Message' zutrifft, und dies bedeutet bei McLuhan in erster Linie die Veränderung der Wahrnehmung durch das Medium über eine längere Periode hinweg, eine medial initiierte Transformation von Produktions- und Reproduktionsbeziehungen, eine mediale Revolution. Der Ausspruch 'the medium is the Message' schreibt dem Medium eine gesellschaftsstrukturierende Eigenschaft zu. Die Technologie der Virtual Reality besitzt eine solche Potenz, von ihr wird eine mediale Revolution im Sinne McLuhans mit hoher Eigendynamik ausgehen [...]".

 

Wie wir heute wissen, diskutieren wir noch immer über die Geschwindigkeit des Netzes in Deutschland. Die Tagesschau setzt nun das Adjektiv "superschnell" davor, wenn die Nachricht vom kommenden Aufbau der 5G-Netze handelt. Zum Jahreswechsel wissen alle Beobachter: Wenn es nicht noch entscheidende Änderungen gibt, dann fahren wir das Projekt wieder vor die Wand. Wir lernen u.a. daraus, das "schnell" oder "superschnell" (in Deutschland) immer nur in der Zukunft stattfindet. Eine lähmende Administration scheint sich sicher: so wie reale Infrastruktur (Straßen, Fahrradwege, Ladestationen) immer an der Kapazitätsgrenze verweilt, so auch die reale Infrastruktur für die Virtualität (Glasfaser, 5G, Gigabit-WLAN u.a.). In der Zukunft also! Hier verhält es sich ganz ähnlich wie bei der Digitalisierung der Schulen, die seit nun beinahe 40 Jahren immer in das darauf kommende Jahrzehnt vertagt wird.

Worüber sich reden lohnte, wäre aber die CyberSociety (und wie man die Menschen dafür bildet und ausbildet). Es fällt noch immer schwer, Mehrheiten für einen zupackenden, rascheren, mit Unwägbarkeiten behafteten Wandel der Schulen und der Schulkultur zu organisieren. Die Geistes- und Humanwissenschaften tragen noch immer an der Last der Technikfeindlichkeit, die der deutsche Existentialismus, insbesondere Heidegger, verbreitet hat.

Bühl hat mit einigen, auch der oben genannten Filmen den Übergang von Science-Fiction zu Social-Fiction erfasst (Gedankenexperimente, belletristische Zukunftsforschung) und dabei sechs Kritiktheoreme gefunden, die hier genannt werden sollen, weil sie auch in der Auseinandersetzung um die Digitalisierung des Bildungssystems relevant sind. Genannt werden die folgenden Gefahren: "Realitätsverlust", "Fragmentierung des Subjekts", "Suchteffekte der VR", "Manipulationstheorem", "globale Abhängigkeit vom Netz" und schließlich "VR als Vorbote eines postbiologischen Zeitalters". (vgl. Bühl, 1996, S. 111).

 

Viele der behaupteten Gefahren (wenn man ins Detail geht) können aus der Perspektive des Jahres 2019 als "banal" identifiziert werden, auch gerade diejenigen, denen man schon ansieht, dass eigentlich ein "zu viel davon" gemeint ist. Vgl. dazu v.a. Axel Krommer z.B. unter: axelkrommer.com oder hier

 

Zum Abschluss versuche ich - zunächst ganz unsystematisch - einige wenige Fragen zu formulieren, auf die man um der Demokratiefähigkeit der nachkommenden Generationen willen bestehen muss.

 

Betreibt die Digitalisierung das Geschäft der Transhumanisten, bereitet sie die Herrschaft der Maschine vor, lobt sie die Prothetisierung des Menschen, letztlich den Cyborg? Wenn ja, inwiefern ist der Widerstand in der fortschreitenden Digitalisierung zu definieren und zu organisieren? Was unterscheidet diesen von der plumpen Technikablehnung derer, die die Digitalisierung durch Aussitzen aufhalten wollen? Stellt die Digitalisierung der Schulen einen Ausbau der Kontrollinstrumente dar und wenn ja, inwieweit kann die unter demokratischen Bedingungen durchaus zugelassen werden? Schließlich: Kann man in einer "Kultur der Digitalität" (ebenfalls Krommer) so etwas wie eine Firewall gegen "Gehirnwäsche" einbauen, so dass die VR im Sinne Bühls nicht zu jener Superdroge wird, vor der schon der Cyberpunk [!] gewarnt hat?

 

Könnt ihr einige der Fragen schon "streichen" (banal oder ...) oder beantworten? Welche Fragen habt ihr?

 

 

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